Detlef bekommt Einlass in den "Moonrise Kingdom"

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Moderator: Damien3

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Detlef P.
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Detlef bekommt Einlass in den "Moonrise Kingdom"

Beitrag von Detlef P. »

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich meinen ersten Wes Anderson-Film gesehen habe.
Ich war 15 Jahre alt und ging auf einen Sonntag ins Arthauskino "Bambi und Löwenherz" in Gütersloh - allein! Das war im Frühjahr 2001.
Ich hatte von Wes Anderson noch nie etwas gehört. Gut, das war schließlich auch erst sein zweiter Film.
Ich hatte vorher eigentlich nur über den Film gelesen, dass es eine ungewöhnliche Tragikomödie sein sollte und dass Bill Murray mitspielen würde. Das war irgendwie Grund genug für mich mir das Ding mal anzusehen.
Und ich weiß bis heute nicht genau was es war, aber irgendwie fesselte mich der Film richtig. Ich brach nicht in Begeisterungsstürme aus, aber ich erinnere mich, dass ich den Film (zum damaligen Zeitpunkt) als ungewöhnlich und anders, aber auch als wirklich schönen Kinobesuch empfand. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das wohl einer meiner ersten Kinobesuche eines Indie-Kunstfilms gewesen ist. Und ich hatte erstes Blut geleckt.
O.k., ich war was das anging wohl schon immer irgendwie anders gepolt. Ich hatte ja bereits in meiner Grundschulzeit Filme wie "Manhattan", "Die Farbe Lila" oder "Grüne Tomaten" gesehen und fand diese großartig, was viele als extrem ungewöhnlich empfinden, wenn ich davon erzähle. Ich habe allerdings damals alles querbeet geguckt. Einfach alles, was mich irgendwie interessierte und was mich begeisterte. Und das war wirklich alles mögliche. Auch da waren schon Indie- und Kunstfilmproduktionen dabei, aber ich hatte für mich noch nicht dieses Bewusstsein der Unterteilung.

Aber ich weiß genau, dass ich - was Kino anging - noch relativ lange am Mainstream orientiert war und mir auch viele der neuesten Blockbuster angesehen habe. Zum einen weil einem vorgegaukelt wurde, dass das das Nonplusultra wäre, zum anderen weil man irgendwie auf dem aktuellen Stand sein wollte.
So war "Rushmore" von Mr. Anderson einer der ersten Schritte in die Richtung, in die ich mich in den Jahren darauf immer stärker bewegen sollte. Ich weiß noch, dass ich genau zu der Zeit auch ganz stark anfing mir alte und neue Klassiker zu Gemüte zu führen. Einfach, weil ich der Meinung war, dass es dafür mal Zeit würde. Da kamen tatsächlich die interessantesten Kombinationen zusammen. Beispielsweise habe ich an einem Tag mal "Uhrwerk Orange", "Einer flog über das Kuckucksnest" (der Film war es, der mir im "Apocalypse Now"-Thread nicht einfiel) und "Apocalypse Now" gesehen. Und ich kannte bis dato keinen von ihnen. An einem anderen Tag waren es "The Rocky Horror Picture Show", "Fight Club", "Eyes Wide Shut" und "Sieben". Und ebenfalls alle zum ersten Mal. Unglaublich oder? Ich glaube, heute würde mein Verstand kollabieren, wenn ich sowas vor hätte. Ich schaue schon seit Jahren nicht mehr als zwei Filme an einem Tag. Und bei vier Stück (vor allem bei vier von solchem Kaliber), hätte ich am nächsten Tag alles schon wieder vergessen.

Mir hat übrigens damals in der Schule - ziemlich genau zu der Zeit - ein Bekannter erzählt, dass er mal an einem Tag zwei Filme im Kino gesehen hat. Der eine war der neue Bond, der andere ein anderer Actionfilm. Und er konnte danach nicht mehr sagen, welche Filmszenen aus welchem Film stammten. Muhahahahahaha :lach:
Ich bin auch schon ein paar Mal in meinem Leben zweimal an einem Tag im Kino gewesen. Aber die Filme waren immer so unterschiedlich, dass ich keine Probleme hatte sie hinterher zu unterscheiden. Aber das nur als kleinen Exkurs.

"Rushmore" hatte also dazu beigetragen mir eine neue Welt zu eröffnen. Der Film war erfrischend anders und ich war begeistert und habe bis heute auch immer sehr positiv von jenem Film gesprochen. Ca. 2 Jahre darauf sah ich dann gemeinsam mit Muri "Die Royal Tenenbaums", den wir uns aus der Videothek geholt hatten. und der Film war sogar noch besser als "Rushmore". Wes Anderson gilt ja auch spätestens seit diesem Film als eine Art Wunderkind des schrägen, tragikomischen Humors. Und das zurecht. Unglaublich, was er mit den beiden Filmen geleistet hat.
Später sah ich dann noch sein Erstlingswerk "Durchgeknallt", das mich nicht so ungehauen hat. Aber gut, ist halt ein Erstling. Und nicht jeder kann so einen geilen Debutfilm raushauen wie zum Beispiel ein Christopher Nolan.
Dann sah ich lange Zeit gar nichts mehr von ihm. Ach doch, zwischendurch sah ich mir auf englisch auf youtube "Hotel Chevalier", der Vorfilm zu "The Darjeeling Limited" an. Aber das war es auch.
Erst vor einigen Monaten sah ich dann "Die Tiefseetaucher", der nach sehr langer Zeit endlich als Free-TV-Premiere im Fernsehen lief.
Der Film hatte mich nie wirklich gereizt, vor allem da ich gehört hatte, dass Anderson sich hier selbst wiederholen würde.
Als ich ihn dann sah, war ich auch nicht sonderlich von diesem angetan und dachte darüber nach, ob seine Zeit mit den Tenenbaums vielleicht geendet hatte. Vielleicht war er kein One-Hit-Wonder, aber ein Two-Hit-Wonder. Würde zu seiner schrägen Art passen.

So, nach dieser extrem langen Einleitung kommen wir endlich zu dem Film, um den es hier gehen soll:
Moonrise Kingdom
Ich musste diese ganze Geschichte so ausführlich erzählen, weil ich jetzt an den Anfang zurück kehren muss.
Der Besuch meines ersten (und einzigen) Wes Anderson-Films im Kino ist 11 Jahre her. Und diese Woche ging ich, völlig ohne Erwartungen, ins Kino um mir seinen neuesten Film anzusehen. Ich hatte seine Filme aus den letzten Jahren nicht gesehen und ging zum einen aus Interesse, zum anderen wegen der imdb-Bewertung darein.
Und als ich diesen Film erblickte, hatte ich das Gefühl wieder 15 Jahre alt zu sein und etwas völlig neues und frisches zu erleben, was ich vorher noch nie gesehen habe.
Das ist jetzt nicht übertrieben!!!
Ich sah diesen Film mit den Augen eines Erwachsenen und denke die ganze Zeit über, dass ich so etwas tolles, schönes und unglaubliches noch nie gesehen habe. Ich komme mir vor wie bei meinem Kinobesuch von "Rushmore", der mir auf ähnliche Weise eine neue Perspektive eröffnet hat.
Das Verblüffende dieses mal ist jedoch, dass es Anderson 11 Jahre später noch mal gelingt mir genau die selben Gefühle wieder zu vermitteln, obwohl ich in der Zwischenzeit echt schon einiges gesehen habe und mich so schnell eingentlich nichts mehr aus den Latschen haut.
Aber hiermit schafft er es einfach und beweist, dass er definitiv kein Two-Hit-Wonder ist, sondern, dass noch immer ein unglaubliches Potential in ihm steckt.

Alles an diesem Film stimmt. Ob die absolut großartigen, weil ungewöhnlichen Kostüme und Ausstattung (zuweilen hat man wirklich das Gefühl ein abgefahrenes Theaterstück zu begutachten), der tolle Soundtrack, die Naturkulissen, die ruhige Inszenierung, die schrägen aber liebenswerten Charaktere, die kleinen unterschwelligen Absurditäten die sehr zum Charme des Films beitragen, oder die großartigen Darsteller, von denen ich zwei ganz besonders hervorheben muss.
Ich weiß nicht, wo er sie her hat, aber die zwei 12-jährigen, die die zentralen Figuren in der Geschichte darstellen - Jared Gilman und Kara Hayward - sind so dermaßen unglaublich, dass man sich wünscht man könnte ihnen ewig dabei zusehen, wie sie Sam und Suzie, das Ausreißerliebespaar, geben. Eine absolut traumhafte Glanzvorstellung, bei der sie sogar Schauspiel-Ikonen wie Edward Norton, Bill Murray und Frances McDormand an die Wand spielen.
Sie schaffen es auf sagenhafte Art und Weise alle Nuancen ihrer komplexen Figuren auszuspielen und zwischen Humor, Melancholie, reifen Gefühlen und total abgefahrenen Momenten gekonnt hin- und herzupendeln.
Eine wirklich außergewöhnliche Leistung von zwei totalen Newcomern, die vorher noch nie im Filmbereich gearbeitet haben. Wenn das mal nicht einem kleinen Wunder gleichkommt.
Nachdem ich mir dieses ungewöhnliche Kleinod nun angesehen habe, ringe ich die ganze Zeit schon mit der Frage, ob das tatsächlich Andersons bester Film gewesen ist. Und ich bin fast geneigt diese Frage mit "ja " zu beantworten. Denn was ich hier gesehen habe, war in jeden Fall herausragend.
Zum anderen habe ich jetzt richtig Lust bekommen, mir noch die übrigen Anderson-Filme anzusehen, die ich in den Jahren dazwischen versäumt habe.
Es ist wirklich komisch, aber es kommt mir fast so vor, als hätte ich einen alten Freund, den ich seit Jahren nicht gesehen habe, endlich wiedergetroffen und wollte unbedingt alles wissen, was er in der Zwischenzeit gemacht hat.
Mal sehen, wann ich dazu komme mir all die Informationen zu holen, die ich über ihn brauche, sprich seine übrigen Filme zu sehen.


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

"Die Seele ist das Schiff, Vernunft das Steuer und Wahrheit der Hafen." (türk. Weisheit)

"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

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Damien3
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Re: Detlef bekommt Einlass in den "Moonrise Kingdom"

Beitrag von Damien3 »

Wow schöne Kritik...ich habe sie komplett gelesen obwohl mich der Film an sich schon extrem abgeschreckt hat...
Mehr kann man von einer Kritik nicht verlangen und erwarten!
Ich habe es ganz gelesen und war enttäuscht das sie ein Ende hat :-))
Und das für einen Film demn ich wahrscheinlich nie ganz schauen werde :-)))


"Ich habe sie den ganzen Abend von dahinten beobachtet...sie sind ein sehr attrativer Mann"
"Warum gehen sie nicht in die Ecke zurück und schauen weiter?"
Kevin Costner..coole Sau.
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Detlef P.
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Re: Detlef bekommt Einlass in den "Moonrise Kingdom"

Beitrag von Detlef P. »

Freut mich, dass sie Dir gefällt!
Ich wollte den Film eigentlich ganz normal bei den Kinofilmen vorstellen und dann kam das alles hoch. War keine geplante Kritik, wie sonst.
Stimmt, ich vergaß, Du hasst Andersons Filme ja (zumindest die Tenenbaums).
Eigentlich schade, und auch echt verwunderlich. Tja, kann man wohl nichts machen.
Du kannst es ja auf DVD nochmal mit diesem versuchen.


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