Wo in Paris die Sonne aufgeht

Les Olympiades, Paris 13e

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Detlef P.
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Wo in Paris die Sonne aufgeht

Beitrag von Detlef P. »

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F, 2021
Regie: Jacques Audiard
Darsteller: Lucie Zhang, Makita Samba, Noémie Merlant, Jehnny Beth, Camille Léon-Fucien, Oceane Cairaty, Anaïde Rozam

"Émilie lebt mietfrei in der Wohnung ihrer an Demenz erkrankten Großmutter in einem der Wohnhochhäuser im 13. Pariser Arrondissement, die „Les Olympiades“ genannt werden. Weil die junge, asiatischstämmige Frau befürchtet, wegen ihres unhöflichen Verhaltens gegenüber einem Kunden ihren Job in einem Call-Center zu verlieren, macht sie sich auf die Suche nach einem Mitbewohner. Sie entscheidet sich für Camille, einen Schwarzen mit einem netten Lächeln, der als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet, nun aber gerne seinen Doktor machen würde. Bereits am Tage seines Vorsprechens haben sie im Anschluss Sex. Die beiden schlafen etwa zwei Wochen lang immer wieder miteinander. Aber Camille will irgendwann nicht mehr und zieht später aus.

Parallel wird die Jurastudentin Nora vorgestellt. Sie ist vom Land in die Großstadt gezogen, um mit 32 Jahren einen Neuanfang zu wagen. Ihren Verwandten erzählt sie am Telefon, wie toll hier alles ist, doch das stimmt nicht. Nachdem Kommilitonen sie für das Camgirl Amber Sweet halten, dem sie mit einer Perücke sehr ähnlich sieht, werden die Vorlesungen für sie zur Tortur. Das folgende Cyber-Mobbing ist für Nora ein Schock. Sie verzichtet auf das Studium und fängt in einer Immobilienagentur an, in der Camille mittlerweile arbeitet. Nach und nach kommen sich die beiden näher. Camille hält auch weiter Kontakt zu Émilie. Nora fühlt sich von Camille nicht geliebt und trennt sich von ihm. Sie kontaktiert Amber und beide beginnen privat zu chatten." (www.wikipedia.de)

Wow, hier war ich wirklich richtig positiv überrascht, wie unfassbar gelungen der Film den Stil der Nouvelle Vague in die Neuzeit zu übertragen weiß.
Tatsächlich hat sich Jacques Audiard die Nouvelle Vague auch bewusst zum Vorbild genommen. Und das sieht man hier auch sehr, sehr deutlich.
Die Geschichten wirken unglaublich frisch und echt und sind an manchen Stellen sogar leicht skurril und komisch, sodass nicht eine Sekunde Langeweile aufkommt.
Die Charaktere sind so verdammt cool und liebenswert, sodass man sie ab dem ersten Moment sofort ins Herz schließt.
Überhaupt ist es total klasse, wie die ganzen Stories miteinander verwoben sind und es immer wieder zu wirklich schönen und wahrhaftigen Momenten kommt, die einem klug und hintersinnig und zugleich vollkommen aus dem Leben gegriffen vorkommen.
Tja, eine echte, moderne Nouvelle Vague halt.

Dazu liefern die Schauspieler auch wirklich tolle und sehr authentisch wirkende Leistungen ab.
Man kann gar keine einzelne von ihnen richtig herausstellen, weil es hier eigentlich gar kein richtiges Zugpferd gibt.
Absolut alle sind hier einfach wahnsinnig gut.
Hinzu kommt noch Audiards Entschluss den kompletten Film (bis auf eine Mini-Sequenz) in dieses wunderschöne, hell durchleuchtete Schwarz-weiß zu tauchen, in denen halt auch immer die alten Filme des französischen Neorealismus gedreht wurden, wodurch er so atemberaubend schöne Bilder schafft und die Figuren durch diese inszenatorische Überhöhung uns als Zuschauer nur noch näher kommen lässt, da sie alle irgendwie verletzlicher wirken.

Dieser Film ist wirklich ein kleiner Geniestreich und man kann ihn wohl als gelungene Wiederbelebung einer alten Genre-, bzw. Stilrichtung bezeichnen.
Ich hätte nie gedacht, so etwas in der Moderne noch einmal erleben zu dürfen :huld:


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

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"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

Las-Vegas-Ambiente :fuckU: (Insider)
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