Deutsche Filmvorschläge für den Auslandsoscar, die jedoch ignoriert wurden

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Moderator: Detlef P.

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Detlef P.
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Deutsche Filmvorschläge für den Auslandsoscar, die jedoch ignoriert wurden

Beitrag von Detlef P. »

Im Zuge des Gewinns von "Im Westen nichts neues" bei der 95. Verleihung der Academy Awards der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ( :roll: ), habe ich mich einmal ein bisschen mit der Geschichte des deutschen Films im Bezug auf die Oscarverleihung beschäftigt, weil sich immer wieder (auch hier im Forum, wie ich mit Erschrecken feststellen musste :mrgreen: ) über selbigen mokiert wird und behauptet wird, alle anderen Filmnationen der Welt könnten es besser als unsere.
Tja, daher hier zuerst nochmal ein paar Statistiken:

Wir sind, was Siege für den besten Fremdsprachenfilm bei den Oscars anbelangt, gemeinsam mit Spanien auf Platz 3 mit nunmehr insgesamt 4 Siegen und werden nur von Frankreich mit 9 und Italien mit 11 Siegen übertroffen.
Bei den Nominierungen sind wir mit insgesamt 20 Stück ebenfalls gleichauf mit Spanien auf Platz 3 und werden wieder nur von Italien mit 28 und von Frankreich mit 38 Nominierungen übertroffen :cityofgod:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der ... higen_Film

So, jetzt aber zum eigentlichen Thema!
Insgesamt 20 Nominierungen - davon 4 Siege - sind ja schon ziemlich ordentlich.
Ich war aber so neugierig, mir mal die Liste durchzusehen mit deutschen Filmen, die tatsächlich als Vorschläge für den Fremdsprachenoscar eingereicht, jedoch nicht genommen wurden.
Und meine Güte, da habe ich mich an einigen Stellen wirklich gewundert. Vor allem, wenn man sich die tatsächlich Nominierten aus den jeweiligen Jahren ansieht.
Hier werde ich jetzt mal nur die wichtigsten deutschen Filme aufzählen, weil zum Teil natürlich auch einige dabei waren, die wirklich recht belanglos sind.
Die ganze Liste befindet sich hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der ... naler_Film

Die Top 10 der deutschen, nicht nominierten Filme (in chronologischer Reihenfolge):

Jeder für sich und Gott gegen alle
Fitzcarraldo
Der Himmel über Berlin
Der Totmacher
Lola rennt
Aimee & Jaguar
Das Experiment
Good Bye, Lenin!
Auf der anderen Seite
Systemsprenger

Bei "Jeder für sich und Gott gegen alle" hat 1976 "Uzala, der Kirgise" von Kurosawa gewonnen.
Fand ich zwar nie sooo toll, aber o.k.
Unter den Nominierten findet sich unter anderem der Film "Actas de Marusia" aus Mexiko, den aber absolut keine Sau kennt und der bei IMDb heute mit einer 7,0 bei etwas über 300 Stimmen darsteht, wohingegen "Jeder für sich..." eine 7,7 bei über 18.000 Stimmen hat.
Außerdem hat der auch noch zwei Preise in Cannes abgeräumt.

"Fitzcarraldo" ist tatsächlich im Jahr 1983 gewesen, in dem auch "Das Boot" hätte nominiert werden können, wenn er denn eingereicht worden wäre.
Deutschland entschied sich aber dazu, stattdessen erstgenannten zu nehmen, was man irgendwo verstehen kann... und irgendwo auch überhaupt nicht!!!
Egal, denn Herzog gewann in Cannes den Preis für die beste Regie und der Film bekam sowohl eine Golden Globe, als auch eine BAFTA-Nominierung als bester Fremdsprachenfilm.
Bei den Oscars gewonnen hat in dem Jahr der spanische "Volver a empezar" (von dem ich noch nie gehört habe) mit einer 6,9 bei 1500 Stimmen bei IMDb. Fitzcarraldo hat eine 8,0 bei über 36.000 Stimmen... ächem!
Auch "Ein Privatleben" aus der Sowetunion mit einer 7,0 bei 240 Stimmen oder gar "Alsino und der Condor" aus Nicaragua mit einer 6,3 bei 300 Stimmen, die unter den Nominierten waren, scheinen nicht so der Kracher gewesen zu sein... .

"Der Himmel über Berlin", ein Film zu dem es später sogar ein kitschiges Hollywood-Remake gab, hat bei 73.000 Stimmen eine 8,0 und wurde sowohl bei den BAFTAs, als auch bei den Césars als bester Fremdsprachenfilm nominiert und gewann in Cannes den Regiepreis.
Bei den Oscars gewann 1988 "Babettes Fest" bei einer 7,8 mit knapp 21.000 Stimmen (den ich leider nicht kenne, aber schon lange auf meiner Riesenliste habe). Hm, o.k.!
Bei den Nominierten war jedoch der spanische "Asignatura aprobada" mit einer 5,8(!) bei nicht mal 300 Stimmen dabei :knifehead:
Und selbst der norwegische "Pathfinder" mit einer 7,2 oder der italienische "Die Familie" (immerhin von Ettore Scola) mit einer 7,4 muten da bei der Auslassung von Wenders Meisterwerk höchst merkwürdig an... .

"Der Totmacher" kam zwar 1995 heraus, wurde aber (warum auch immer) erst für 1997 eingereicht. Ich muss gestehen, dass ich den Film damals recht langweilig fand, auch wenn Götz George hier eine Wahnsinns-Leistung gezeigt hat.
Auf IMDb hat er immerhin eine 7,5 bei über 2200 Stimmen und George gewann in Venedig den Preis als bester Darsteller.
Bei den Oscars gewann in dem Jahr das tschechische Werk "Kolya", der mit einer 7,7 bei knapp 16.000 Stimmen definitiv besser wegkommt (und der ebenfalls schon lange auf meiner Liste steht).
Allerdings waren im selben Jahr auch "1001 Rezepte eines verliebten Kochs" aus Georgien mit einer 6,3 bei 700 Stimmen und "Sonntagsengel" aus Norwegen mit einer 6,9 bei 1200 Stimmen nominiert.

"Lola rennt" ist der Film, bei dem ich beinahe hinten rübergekippt bin.
Ich hatte immer angenommen, dass der gar nicht eingereicht wurde, weil Deutschland ihn zu "mainstreamig" gefunden habe, wie damals bei "Das Boot".
Das DER nicht mal nominiert wurde, ist an Lächerlichkeit kaum zu toppen und eigentlich bräuchte man hier gar keine Vergleiche mehr raussuchen... aber ich habe es natürlich trotzdem gemacht :mrgreen:
Gewonnen hat 1999 "Das Leben ist schön" - Touché!
So, unter den Nominierten waren jedoch der spanische "El abuelo" mit einer 7,3 bei 2000 Stimmen (o.k., immerhin!) und der argentinische "Tango" mit einer 7,0 bei 3000 Stimmen.
Zugegebenermaßen nicht totale Scheiße, aber trotzdem in keiner Weise ein Vergleich zu einer 7,7 bei über 200.000 Stimmen(!) und Nominierungen bei den BAFTAs und den Böhmischen Löwen (tschechischer Filmpreis) als bester Fremdsprachenfilm und dem Gewinn des Publikumspreises in Sundance!

"Aimée & Jaguar" kommt zwar mit einer 7,2 bei knapp 6800 Stimmen jetzt nicht wie ein Megaknaller rüber, aber ich mochte den Film wahnsinnig gerne, als ich ihn damals gesehen habe.
Gewonnen hat in dem Jahr "Alles über meine Mutter" von Almodóvar, mit dem er natürlich nicht zu vergleichen ist.
Vielleicht aber mit dem schwedischen "Das Glück kommt morgen" oder dem walisischen "Salomon und Gaenor", die bei mit einer 6,8 bei 2800, bzw. 1400 Stimmen dastehen.
Bei den Globes war er auch noch dabei, nur bei den Oscars nicht.
Und dabei spielt er sogar - im Gegensatz zu den bisher genannten Filmen - in der Nazizeit und zeigt dort eine unmögliche, lesbische Liebe einer Nazioffiziersfrau zu einer Jüdin, die auch noch auf wahren Begebenheiten beruht.
Das ist doch voll Euer Thema, liebe Academy. Was ist denn da bitte schiefgelaufen? :lol:

Da hatte ich mich gerade wieder ordentlich hingesetzt und falle fast erneut vom Stuhl, als ich "Das Experiment" entdecke.
Haben die Filme, die sich nicht mit jüngerer, deutscher Vergangenheit beschäftigen, tatsächlich alle keine Chance auch nur nominiert zu werden?
Galt bisher zumindest als Klischee, aber es scheint sich ja beinahe zu bewahrheiten.
Gewonnen hat 2002 "No Man's Land" für Bosnien, den wir ja alle nicht ganz sooo doll fanden, aber mit einer 7,9 bei knapp 48.000 Stimmen etwas besser weggkommt, als unser Beitrag mit einer 7,7 bei knapp 95.000 Stimmen. Aber es geht hier ja auch nur um die Nominierungen.
Und die waren in diesem Jahr tatsächlich mal ungewöhnlich stark. "Die fabelhafte Welt der Amelie" und "Lagaan - Es war einmal in Indien" haben auch beide stärkere Bewertungen.
Auch der argentinische "Der Sohn der Braut" mit einer 7,8 (obwohl ich den langweilig fand) bei 16.000 Stimmen und "Elling" aus Norwegen mit einer 7,3 bei 15.000 Stimmen sind recht stark. Trotzdem eigentlich kein Vergleich.
Aber naja, lassen wir es in diesem Jahr mal gut sein und schließen mit dem Satz: Wäre das Gefängnis ein KZ gewesen, wären wir definitiv nominiert worden :cityofgod:

"Good Bye, Lenin" hat eine super Bewertung bei einer 7,7 bei fast 150.000 Stimmen und hat so viele Nominierungen als bester Fremdsprachenfilm (unter anderem bei den Globes und den BAFTAs) bekommen, dass ich die alle gar nicht aufzählen kann und will. Punkt!
Gewonnen hat 2004 der kanadische, aber in französischer Sprache gedrehte "Die Invasion der Barbaren". Steht auch schon lange auf meiner Liste, daher kann ich dazu nichts sagen.
Aber er hat "nur" eine 7,5 bei knapp 30.000 Stimmen. Aber immerhin... .
Schauen wir uns noch die Nominierten an. "Die Zwillinge" aus den Niederlanden mit einer 7,4 und 7000 Stimmen und "Zelary" aus Tschechien mit einer 7,6 und 3600 Stimmen scheinen nicht gerade schlecht zu sein.
Allerdings spielen beide im zweiten Weltkrieg und in beiden kommen Nazis vor... . Quod erat demonstrandum anyone...?
Da war unsere DDR-Geschichte wohl etwas ZU jung an der Stelle und sollte erst 2007 mit "Das Leben der Anderen" gewürdigt werden.

"Auf der anderen Seite" habe ich mir lange gespart, bis ihn mir mein damaliger Arbeitskollege empfohlen hat.
Und er war wirklich richtig gut und hat auch bei IMDb eine 7,7 bei über 32.000 Stimmen, gewann in Cannes gleich zwei Preise (unter anderem für das beste Drehbuch) und wurde darüber hinaus ebenfalls für einige Fremdsprachenpreise - unter anderem bei den Césars - nominiert.
Gewonnen hat 2008 "Die Fälscher" aus Österreich, der eine 7,5 bei 46.000 Stimmen hat. Habe ich nicht gesehen, weil der mich nie interessiert hat, daher kann ich dazu nicht wirklich was sagen.
Hat aber auch mal wieder mit Nazis und dem dritten Reich zu tun, was mich total schockiert und überrascht hat... nicht! :cool:
Nominiert waren unter anderem "Beaufort" aus Israel mit einer 6,7 bei 4700 Stimmen und "Das Massaker von Katyn" aus Polen mit einer 7,0 bei 17.000 Stimmen.
Beide haben mal wieder mit Politik und Krieg zu tun (wobei der polnische Beitrag sogar mal nicht über die Nazis sondern über die Rote Armee ist) und hatten da wohl bessere Chancen auf eine Nominierung, wie man sehen kann.

"Systemsprenger" ist der jüngste Film, bei dem ich es bedauerlich und unverständlich finde, dass er nicht nominiert wurde.
Und das trotz einer 7,8 bei 13.000 Stimmen und einer unglaublichen Leistung, die Helena Zengel danach sogar neben Tom Hanks eine Rolle ergattern ließ.
Sehen wir uns doch ein letztes Mal die Filme über das dritte Reich an, die stattdessen dabei waren.
Gewonnen hat in dem Jahr "Parasite". Gut, da kann man nichts gegen sagen, auch wenn ich diesen Bohai um den Film nie wirklich verstanden habe.
Für mich ein guter Film - nicht mehr und nicht weniger.
Die Nominierten sind auch alle nicht scheiße. Die beiden schwächsten sind tatsächlich "Die Wütenden" aus Frankreich mit einer 7,6 bei 26.000 Stimmen und "Leid und Herrlichkeit" aus Spanien von Almodóvar mit einer 7,5 bei 60.000 Stimmen.
Na gut, hier sage ich jetzt das zweite Mal nach "Das Experiment": unentschieden!
Trotzdem finde ich es mehr als schade. Ich meine, die "durchdrehende Bestie" in diesem Film ist doch schon blond. Muss sie denn unbedingt auch noch einen schwarzhaarigen Juden umbringen?
Muhahahahahahahahahahahahahahahahahaha... äh, tschuldigung... :oops:

So, unterm Strich würde ich sagen, dass sich die Academy bei 8 von den 10 aufgeführten Beispielen doch erhebliche Schnitzer erlaubt hat (und selbst bei den übrigen 2 könnte man diskutieren).
Aber gut, deren Schnitzer sind ja so alt, wie die Ausgabe dieser Briefbeschwerer selbst.
Von daher sollte auch das niemanden wirklich überraschen.

Aber auch nochmal schön zu sehen, was für tolle, vielseitige Filme wir hier haben.
Jeder aufgeführte Film ist völlig anders all die anderen und alle haben ganz andere Thematiken, die sie mit Bravour anpacken.
Tja, sowas können die Leute hierzulande auch - wenn man sie nur lässt :respect:


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

"Die Seele ist das Schiff, Vernunft das Steuer und Wahrheit der Hafen." (türk. Weisheit)

"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

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Re: Deutsche Filmvorschläge für den Auslandsoscar, die jedoch ignoriert wurden

Beitrag von Damien3 »

WOW was für eine Arbeit. Wir soll man das standesgemäß würdigen?
Das müsste vonsehr sehr vielen Menschen gelesen werden!
Irre wieviele "ausländische Oscars" ich nie sah oder von hörte....
Ich kann zu 90% nichts mit den Titeln anfangen oder hatte von Anfang an kein Bock darauf.
Wenn ich je einen haben will, werde ich augf jeden Fall einen Nazi einbauen um zu gewinnen.
So wie z.B. Kokowähh 5 mit "Er ist wieder da" kombinieren oder so?


"Ich habe sie den ganzen Abend von dahinten beobachtet...sie sind ein sehr attrativer Mann"
"Warum gehen sie nicht in die Ecke zurück und schauen weiter?"
Kevin Costner..coole Sau.
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Detlef P.
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Re: Deutsche Filmvorschläge für den Auslandsoscar, die jedoch ignoriert wurden

Beitrag von Detlef P. »

Vielen Dank, mein Lieber!
Das Kompliment nehme ich sehr gerne an :beer:

Deine Idee, so einen Oscar zu gewinnen, ist schon nicht schlecht.
Allerdings würde ich statt "Kokowääh 5" einfach "Viernasenotter" (aka. "Keinohrhasen 3") mit "Er ist wieder da" kombinieren, wobei sich das "Er" dann auf Ken Duken, bzw. dessen riesigen Eiffelturm-Penis aus dem zweiten Teil bezieht, dem man einfach ein kleines, schwarzes Bärtchen angeklebt hat und der ständig "strammsteht" :lol:


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