Francois Truffaut

Die größten Meister, die größten Nieten, ihre Filme, ihre Leben.

Moderator: Detlef P.

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Murillo
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Francois Truffaut

Beitrag von Murillo »

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geb. am 6.2.1932 in Paris
gest. am 21.10.1984 in Neuilly-sur-Seine (Hirntumor)

"Wer erinnert sich nicht an den UFO-Forscher Claude Lacombe in Steven Spielbergs "Unheimliche Begegnung der dritten Art"? Er ist ein stiller, kluger, sympathisch ruhiger Mann, nicht nur Wissender, sondern auch Zweifler. Was hat den amerikanischen Erfolgsregisseur dazu bewegt, François Truffaut für diese Rolle nach Hollywood zu holen? Spielberg hatte den "Wolfsjungen" und "Eine amerikanische Nacht" gesehen. "Er war ein Mann-Kind in diesen Filmen. Unverbildet und doch weise, eine Vaterfigur mit einem wilden lebensbegierigen Blick"- und das suchte Spielberg. So wurde der große französische Regisseur als Schauspieler in einem Kino-Bestseller weltweit bekannt.

Dieser François Truffaut jedoch ist ein Wunderkind des französischen Films. Mit "Sie küßten und sie schlugen ihn" gibt er der französischen nouvelle vague 1959 sein wunderbares Entre und schafft zugleich mit dem kleinen Antoine Doinel eine Filmfigur, die er über zwei Jahrzehnte verfolgt: Ein Schuljunge wird zu Hause misshandelt, wächst lieblos auf und entdeckt, dass seine Mutter ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat. Er wird enttäuscht, Versprechungen werden nicht eingehalten, das Jugendgericht verurteilt ihn wegen Diebstahls zu Jugendheim. Er flieht, zieht sich ans Meer zurück.

In den Filmen "Antoine und Colette" (1962, Kurzfilm), "Geraubte Küsse" (1968), "Tisch und Bett" (1970) und "Liebe auf der Flucht" (1978) kehrt er zurück. Es sind Geschichten um einen einfachen Menschen, keinen Helden. Er verbringt keine besonderen Taten. Ein Träumer, der seine Träume verwirklichen will. Später schafft er sich eine eigene Welt, ein eigenes Zuhause; er wird berufstätig, heiratet, betrügt seine Frau und behält doch immer seinen Charme, sein kindliches Gemüt und seine Naivität. Truffauts Entdeckung, der Schauspieler Jean-Pierre Léaud spielt ihn als jemanden, der nie erwachsen wird. Für Truffaut ist diese Figur fast ein alter ego.

Daneben entstehen Filme wie "Jules und Jim" von 1961. Der deutsche Schriftsteller Jules und sein französischer Freund Jim verlieben sich beide in Catherine. Der erste Weltkrieg trennt die Freunde: Catherine heiratet Jules, Jim kommt nach dem Krieg zu Besuch, eine Liebe zu dritt entwickelt sich, doch sie welkt dahin, ein dauerndes Glück ist ihr nicht vergönnt: Zwei Menschen sterben, einer bleibt zurück.

Bereits sechs Jahre vorher wird der Regisseur in einem Brief von Henri Pierre Roché auf einen anderen Roman des Autors aufmerksam, auf "Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent", der zehn Jahre nach "Jules und Jim", 1971 entsteht. Aus Ray Bradburys wundersamer Geschichte "Fahrenheit 451" von der Zeit, in der Bücher verboten sind, macht er eine ebenso bizarre wie poetische Phantasie weitab der traditionellen Sciencefiction.

Eine authentische Geschichte aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts ist die Kaspar-Hauser-Figur "Der Wolfsjunge". Bauern fanden in den Wäldern von Aveyron einen verwilderten 12-Jährigen. Wölfe haben ihn großgezogen, er kann nicht sprechen, sein Körper ist voller Narben. Der Arzt und Forscher Itard rettet das Kind vor der Schaulust der Menge und zieht es in einem harten, aber konsequenten Erziehungsprozess groß. Truffaut, der selbst den Erzieher spielt, macht in einem kühlen, sachlichen Stil Brutalität und Unsinnigkeit dieses Zivilisierungsprozesses deutlich.

Truffaut ist der Sohn eines technischen Zeichners und einer Sekretärin. Mit 14 verlässt er gegen den Willen der Eltern die Schule und macht Gelegenheitsjobs. Das Wichtigste sind für ihn Kinobesuche, wie Doinel kommt er ins Erziehungsheim, danach begegnet er dem französischen Kritikerpapst André Bazin, der ihn animiert, Filmvorführungen für Arbeiter zu organisieren. In der Cinématheque trifft er auf Alain Resnais und Chris Marker, auf Jean Luc Godard, Jacques Rivette und Eric Rohmer. Nach der unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst bringt ihn Bazin in der Filmabteilung des Landwirtschaftsministeriums unter.

Bald macht sich Truffaut als Kritiker der "Cahiers du Cinéma" einen Namen durch seinen klaren Stil, seine Präzision und Unbestechlichkeit im Urteil. Wie die Kritiken so prägen seine Filme das französische Kino: der Film über das Kino "Die amerikanische Nacht", Lebensgeschichten wie "Schießen Sie auf den Pianisten", "Die Geschichte der Adele H." oder "Die letzte Metro", irritierende Arbeiten wie "Taschengeld", "Das grüne Zimmer", "Die Frau nebenan" und schließlich die wunderschöne Detektiv-Story "Auf Liebe und Tod". Der Film entsteht 1982/83, 1984 stirbt Truffaut."
(www.prisma-online.de)

Filmografie:
1959: Sie küssten und sie schlugen ihn
1960: Schießen sie auf den Pianisten
1962: Jules und Jim
1962: Liebe mit zwanzig (Segment: Antoine et Colette)
1964: Die süße Haut
1966: Fahrenheit 451
1968: Die Braut trug schwarz
1968: Geraubte Küsse
1969: Das Geheimnis der falschen Braut
1970: Der Wolfsjunge
1970: Tisch und Bett
1971: Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent
1972: Ein Schönes Mädchen wie ich
1973: Die Amerikanische Nacht
1975: Die Geschichte der Adele H.
1976: Taschengeld
1977: Der Mann, der die Frauen liebte
1978: Das Grüne Zimmer
1979: Liebe auf der Flucht
1980: Die letzte Metro
1981: Die Frau nebenan
1983: Auf Liebe und Tod
[hr]
ein großartiger Regisseur, von dem ich bislang leider nur 2 filme kenne ("Die amerikanische Nacht" und "Fahrenheit 451"). Vor allem "Jules und Jim" muss ich noch ganz dringend nachholen.


"Wenn etwas klappt, ist es meistens nur Glück. Deshalb sollte man nie zuviel Ahnung von einer Sache haben" (alte japanische Programmiererweisheit)

Neulich im Waschsalon:
"Nachdem mir bereits "Network" sehr gut gefallen hat, gewinne ich langsam wirklich Respekt vor Sidney Lumet."
"Du unnützer nichtsbringender mittzwanziger Fliegenschiss bekommst "langsam" Respekt vor Sidney Lumet?"
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Voland
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Beitrag von Voland »

Sie küssten und sie schlugen ihn
Ich glaube, das ist mein allerliebster Truffaut. Den sah ich auch bisher am Häufigsten. Der Beginn einer sehr wichtigen Filmreihe - den Filmen mit Antoine Doinel. Ein Wegbereiter sozusagen im Oeuvre des Francois Truffaut.

Jules und Jim
Das war der Klick in meiner filmischen Laufbahn. Dieser Film hat mir die augen geöffnet, dass es auch weitab von Hollywood gute Filme gibt. Und bis heute schätze ich diesen Film sehr, der wohl am besten dieses typische Genre für Frankreich und Francois beschreibt. Die tragischen Liebesbeziehungen der Filmgeschichte scheinen immer hieraus ihre Kraft zu schöpfen.

Die süße Haut
Und wieder ein weiterer Grundstein von Truffauts Liebestragödien. Bis zum bitteren Ende blieb er ihnen treu, hat sich immer daran erinnert. Francoise Dorleac, eine große Schauspielerin, hatte hier ihr Meisterstück abgeliefert. Sie geht einem nicht mehr aus dem Kopf. Sehr schade, dass sie so früh von uns gegangen ist.

Fahrenheit 451
Dafür, dass der Film eigentlich zu Truffauts berühmtesten Werken zählt sah ich ihn sehr spät. Doch begeistert war ich dennoch. Ein eigenartiger Film, doch seine Wirkung verfehlt er nicht. Ungewohnt bunt für Truffaut, doch passend zur Geschichte. Truffaut beweist seine Wandelbarkeit.

Geraubte Küsse
Antoine Doinel! Und dann noch Claude Jade an der Seite des Jean-Pierre Leaud. Einfach herrlich anzusehen, so jugendlich und frisch. Aus der Doinel-Reihe sicher einer der besseren.

Tisch und Bett
Antoine Doinel lässt einem keine Ruhe. Immer kürzer werden die Abstände zwischen den einzelnen Teilen. Mittlerweile teilt man schon Tisch und Bett, wie der Name sagt. Auch die Jugend und die Frische hat man behalten.

Die amerikanische Nacht
Jeder große Filmemacher versucht sich daran, einen Film über seinen Beruf zu drehen. Truffaut hat sich mit diesem Film in eine Reihe mit "Stardust Memories", "8 1/2" und ähnlichen Filmen gestellt. Viele große Schauspieler sind mit von der Partie und lockern den Film ein wenig auf.

Das grüne Zimmer
Ein bewegender Film. Erst dachte ich, es wäre vielleicht einer der schlechteren Truffauts. Die Geschichte erschien mir eigenartig. Doch ganz im Gegenteil. Truffaut rechnet nun auch endgültig mit dem Streit zwischen ihm und Oskar Werner ab. Wirklich rührend.

Die Frau nebenan
Wie schon erwähnt bleibt Truffaut bis zum Ende seinen tragischen Liebesdramen treu. Fanny Ardant und Gerard Depardieu wollen es nochmal wissen. Und am Ende will man es gar nicht wahrhaben. Einer der schwächeren von Truffaut, aber dennoch ein guter Film.

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Mit mehr Filmen kann ich leider nicht dienen, obwohl ich zu meiner Schande gestehen muss, dass sich noch etliche Filme von Truffaut bei mir zuhause im Regal langweilen. Doch die Zeit, die wenige Zeit....

Gerade habe ich nachgesehen. Etwa ein Drittel seiner Filme habe ich gesehen. Ein weiteres Drittel liegt bei mir ungesehen im Regal und der Rest sollte wohl bald mal aufgetrieben werden. Aber Truffaut ist ja auch nicht gerade so unbeliebt bei den TV-Sendern. Da sollte sich das machen lassen.


Ich bin für geistige Zensur. Filme werden moralisch und politisch begutachtet, aber die Dummheit darf passieren.
[René Clair]
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Detlef P.
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Beitrag von Detlef P. »

Ich kenne auch nur drei seiner Filme.
Das liegt allerdings daran, dass ich von "Die amerikanische Nacht" schwer beeindruckt war, aber "Sie küssten und sie schlugen ihn" und vor allem "Fahrenheit 451" mich sehr enttäuscht haben.
"Sie küssten..." war bestimmt mal ein grandioser Film, aber wie viele tausende von Filmen gibt es heutzutage mit so einer Thematik?!
Ich hatte mir immer wieder vorgenommen mir den Film noch einmal anzusehen, aber mir fehlt einfach die Lust.
Und "Fahrenheit 451" konnte ich leider rein gar nicht abgewinnen.


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

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