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Tarkowskijs Picknick am Wegesrand der Filmgeschichte

Verfasst: So 17. Apr 2005, 20:13
von Voland
Noch nie habe ich es gewagt über diesen Film zu schreiben. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst der Regisseur schmunzelt immer nur über die Deutungsversuche seiner Filme. Erklärungen dazu gibt er jedoch keine ab.

"Stalker" ist ein Film aus Russland, gedreht von Andrej Tarkowskij. Als Buchvorlage diente "Picknick am Wegesrand" von den Gebrüdern Strugatzkij. Wer jetzt hinter diesem Film einen Horrorfilm vermutet, der liegt ganz falsch. Es ist (vielleicht) ein Sci-Fi-Film. Will man es genau beschreiben, dann würde man wohl sagen, es ist ein Tarkowskij. Im Normalfall reicht es und jeder weiß worum es geht.

Aus der Buchvorlage wurde jedoch nur die Situation entnommen um sie zu einem Tarkowskij-Film umzufunktionieren. Beides ist nur sehr empfehlenswert. Wo die Vorlage jedoch eine sehr intelligente Sci-Fi-Geschichte ist (grob gesagt) ist der Film eine Metapher, die Dir den Hirndeckel abnimmt und mit dem Mixer drin rumrührt. Glaubt mir, man fühlt sich tatsächlich so, auch wenn es übertrieben erscheint. Es ist, als wäre man danach in Trance, vollkommen weltfremd.

Wie ich schon gesagt habe, ist der Film eher als Metapher anzusehen. Er bohrt sich in einen hinein und hat Auswirkungen, die teilweise nur Drogen einem vermitteln können. Es ist ein Erlebnis, nicht bloß ein Film.

Als ich den Film sah war ich noch recht grün hinter den Ohren und wusste von Tarkowskij nicht viel. Daher suchte ich nach einer Erklärung in der IMDB. Was ich dort vorfand war ein Hinweis, dass es keine Erklärung zu dem Film gibt, sondern jeder selbst sich eine Erklärung schaffen kann. Da hat es sich aber der Autor zu einfach gemacht.

Dann dachte ich an eine Sinnfindung des Protagonisten. Ich habe die verrücktesten Theorien zu dieser Grundidee entworfen. Aber auch das ist nicht ganz korrekt, würde Tarkowskij wohl nur Schmunzeln lassen. Dennoch denke ich, dass ich damit schon sehr knapp dran war.

Ein Freund versuchte es als Spiegel, der der russischen Politik vorgehalten werden soll, zu erklären. Aber auch das ist weit gefehlt, denke ich.

Meine irren Theorien war an den Haaren herbeigezogen. Ich wollte unbedingt versuchen diesem Film einen Sinn zu geben und ihn zu interpretieren. Aus diesem Grund versuchte ich jede einzelne Szene zu analysieren. Doch genau das ist der Fehler. Es geht doch bei Tarkowskij gar nicht um Fakten!

Tarkowskij macht ein Kino des Herzens. Viele Menschen schrieben ihm nachdem sie "Der Spiegel" sahen, weshalb er denn so genau wisse, wie sie als Kinder gelebt haben, weshalb er gerade ihre Geschichte nahm.

Und genau hier liegt es. Diese Filme sind tatsächlich so gemacht, dass sie individuell wirken. Eigentlich hat jeder ein wenig richtig gedacht, als er den Film interpretiert hat. Nun, ich bin mir nicht sicher ob ich richtig liege, aber ich kann es mir persönlich so erklären.

Ein jeder Film von Tarkowskij lässt den Zuschauer in sich gehen und wirkt wie eine Form von Hypnose. "Stalker" ist mit "Der Spiegel" wohl die intensivste Hypnose aus Tarkowskijs Oeuvre. Es geht nicht darum, was wir da in 24 Bilder pro Sekunde vor unseren Augen sehen. Sondern es geht darum, was wir im Unterbewusstsein dabei erleben. Es ist schwierig zu erklären, da es eben genau jene Filme sind, die man nur fühlen, aber nicht erklären kann. Jetzt könnte jeder behaupten, dass ich es mir einfach mache. Ich denke jedoch, dass es unmöglich ist, eine geltende Theorie über diese Filme aufzustellen, da jeder andere Empfindungen und Erinnerungen hat.

Der Sinn des Lebens ist ein gutes Stichwort. Tarkowskij hat sich viel damit befasst, hat immer versucht jedem seinen persönlichen Sinn des Lebens zu vermitteln. Und ich glaube er schafft es, auch wenn man es nicht so richtig weiß, sondern nur fühlt. Wenn man seine Filme sieht, hat man das Gefühl, es zu wissen - auch wenn man diese Information nicht abrufen kann.

Tarkowskij zu sehen ist ein wahres Erlebnis. "Stalker" zu sehen ist ein glatter Wahnsinn. Es ist wie ein Trip in die tiefsten Empfindungen. Und anschließend wacht man auf und fühlt sich leer. Als wäre alles geklärt, nichts mehr offen. Man empfindet eine stoische Ruhe, die niemand einreißen kann. Es dauert nach einem Tarkowskij-Film immer eine gewisse Zeit, bis man wieder bei Sinnen ist und die Umwelt vollständig wahrnimmt. Es ist wie ein Bilderrausch - und das obwohl diese Bilder absolut ruhig sind und keinen Rausch verursachen können. Es ist Kino des Unterbewussten.

Ich hoffe ich bin mit dieser Erklärung wenigstens annähernd an diesen Film herangekommen. Es würde mich sehr freuen, wenn dies so wäre. Denn Tarkowskij zu deuten ist sicher eines der schwierigsten Unterfangen die man sich auf dem Filmsektor aufbürden kann.

Danke an diejenigen, die den Text bis hierhin gelesen haben :-)

Verfasst: So 17. Apr 2005, 20:21
von Murillo
Ich wundere mich, dass dieser Mann so viele bei IMDb von sehr vielen Menschen gut bewertete Filme gemacht hat (ich kenne keinen einzigen, der einzige von dem ich schonmal etwas gehört habe ist der Original-"Solaris")

Von diesem Regisseur höre ich überhaupt hier das erste mal etwas und ich hoffe, ich werde mal die Gelkegenheit bekommen, einen seiner Filme zu sehen,

Verfasst: So 17. Apr 2005, 20:27
von Voland
"Dieser Mann" ist ganz und gar nicht unbekannt. Mich wundert es sogar, dass Du ihn nicht kennst. Tarkowskij ist der einzige Regisseur, der sich so intensiv mit dem Film auseinandergesetzt hat. Er hat den Film absolut nur als Kunst gesehen und dachte nicht daran, einen Film einfach nur zum Schauen zu machen. Es ist schwer zu erklären, aber wenn man die Filme kennt und dann seine "Erklärungen" in seinem Buch liest, weiß man, dass er wohl einer der größten Genies unter den Künstlern war.

Ich empfehle Dir, die DVDs der Reihe russischer Klassiker zu kaufen. Da findest Du sogar "Stalker". Ich musste damals noch lange warten bis er im TV lief - insofern hast Du es einfacher ;-)

"Solaris" ist lange nicht so gut wie seine anderen Werke.

Übrigens spielt Wasser bei Tarkowskij immer eine wichtige Rolle. Es gibt wohl keinen anderen Regisseur, der Wasser so beruhigend und intensiv auf Film gebannt hat wie er. Gerade in "Stalker" läuft dies zu besonderer Stärke auf. Vielleicht kommst Du ja bald in den Genuss ;-)

Verfasst: Di 19. Apr 2005, 11:40
von Detlef P.
Von "Stalker" habe ich schon sehr viel gehört und will ihn unbedingt mal gucken.
"Solaris" (das Original!) habe ich vor Jahren mal gesehen und fand ihn, bis auf das wirklich überraschende und geniale Ende ziemlich langweilig. Aber wenn das nicht sein bester Film war...

Verfasst: Di 19. Apr 2005, 11:44
von Voland
"Solaris" ähnelt von der Schwerfälligkeit her, aber sehr seinen anderen Filmen. Ich denke, dass Du "Stalker" bzw. die anderen Tarkowskij-Filme nicht mögen wirst.

Du findest "Blow Up" und "Solaris" langweilig. Sie sind nicht langweilig, sondern schwerfällig. Und dieses Schwerfällige mag ich, diese Ruhe.

Mit Lynch bist Du zwar schon ein wenig in diese Richtung unterwegs, aber Lynch ist hektischer. Atmosphäre bauen sie aber beide bemerkenswert auf.

Verfasst: Di 19. Apr 2005, 11:52
von Detlef P.
Wenn du meinst... :wink: Ich werde mir "Stalker" trotzdem mal ansehen.

Verfasst: Di 14. Feb 2006, 15:25
von Detlef P.
Voland hat geschrieben:" Ich denke, dass Du "Stalker" bzw. die anderen Tarkowskij-Filme nicht mögen wirst.
Irrtum!
Habe ihn mir am Wochenende angesehen und war sehr fasziniert. Ihn mit "Der Spiegel" zu vergleichen haut auf der "hypnotischen" Ebene sogar sehr gut hin.
Bloß war "Der Spiegel" von keiner Handlung im eigentlichen Sinne durchzogen, sodass man diesen einfacher nur auf sich wirken lassen kann als "Stalker". Bei "Stalker" gibt es jedoch so etwas wie eine Handlung, was es für mich schwer macht den Film einfach so hinzunehmen.
Mit deiner Theorie könntest du wohl rechthaben, dass jeder den Film auf seine Weise interpretieren kann, darin liegt ja auch beispielsweise das Geheimnis von "2001". Und ein ähnlicher Trip ist dieser Film.
Ich werde ihn mir auf jeden Fall noch ein paar Mal ansehen müssen um mit ihm einigermaßen klar zukommen.

Verfasst: Di 14. Feb 2006, 15:33
von Voland
Das freut mich, dass Dir der Film gefällt bzw. Du ihn gesehen hast. Weshalb aber hat "Der Spiegel" keine Handlung im eigentlichen Sinn? Der Film vermag nur besser zu verschleiern, was Tarkowskij tief im Herzen brennt. Sein Leben ist es nämlich, dass er damit verarbeitet.
Bloß hat "Der Spiegel" keine Literaturvorlage, im Gegensatz zu "Stalker". Muss er aber auch nicht, da Tarkowskij ohnehin nichts übriglässt, wenn er sich über ein Buch stürzt. ;-)

Verfasst: Di 14. Feb 2006, 15:40
von Detlef P.
Stimmt genau, dass Tarkowskij damit sein Leben verarbeitet hat. Aber das Ganze wurde aus meiner Sicht sehr fragmentiert dargestellt, sodass ich nicht von einer Handlung im klassischen Sinne sprechen würde.
Aber vielleicht ist das auch nur MEIN Weg den Film so zu erklären. :mrgreen:

Verfasst: Di 14. Feb 2006, 15:53
von Voland
Ganz sicher sogar ist das Dein Weg. Ich achte zu wenig auf Handlungsverläufe, als dass ich das so genau beschreiben könnte. Für mich spielen Kameraarbeit und Mise-en-scene eine viel größere Rolle.

Verfasst: Di 14. Feb 2006, 16:57
von Detlef P.
Das heißt, dass du bei "Der Spiegel" gar nicht genau auf einen Handlungsverlauf geachtet hast, oder wie darf ich das verstehen?

Verfasst: Di 14. Feb 2006, 18:51
von Damien3
also ich habe dabei soschnell wie möglich den Off Knopf meiner Fernbedienung gesucht....
aber ich halt mal lieber den Mund :mrgreen:

Verfasst: Mi 15. Feb 2006, 07:08
von Voland
Da habe ich mich wohl unklar ausgedrückt. Ich achte sehr wohl auf die Handlung, wenn ich einen Film sehe. Doch wenn ich einen Film versuche zu interpretieren, dann lasse ich die Handlung eher nur nebenbei gelten. Ich versuche mich eher auf andere Dinge zu konzentrieren, da sie mir mehr bedeuten und für mich mehr Tiefgang haben als die Handlung an sich.

Verfasst: Mi 15. Feb 2006, 14:39
von Detlef P.
Damit kommen wir vermutlich schon fast in einen philosophischen Bereich, aber wie kann etwas mehr Tiefe haben als die Handlung an sich?
Das musst du mir bitte noch genauer erklären. Vielleicht am Beispiel von "Stalker" oder "Der Spiegel" wenn wir schon dabei sind.

Verfasst: Mi 15. Feb 2006, 15:20
von Voland
Der Tiefgang bei den beiden Beispielen liegt meines Erachtens nach vor allem in der Visualisierung der Gedichte und der Gefühle, die dem Zuschauer dadurch vermittelt werden. Es klingt geschwollen, aber das Hirn ist eine Bremse - wodurch die Handlung an sich nicht so tief reicht. Die Atmosphäre aber umhüllt einen richtig und nimmt einen voll in Besitz. DAS ist Tiefgang.

Verfasst: Mi 15. Feb 2006, 15:24
von Detlef P.
Cool, damit hast du sogar recht :beer: