Volands Shanghai Serenade

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Moderator: Damien3

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Voland
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Volands Shanghai Serenade

Beitrag von Voland »

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Bisher konnte ich dem Kino der Volksrepublik China immer ausweichen. Doch dieses eine Mal war ich dazu nicht im Stande. Nicht einmal das vermeintliche (OmU) in der TV-Zeitung konnte mich davon abhalten - war ohnehin eine synchronisierte Fassung ohne Untertitel.
Shanghai als Filmthema habe ich erst kürzlich für mich entdeckt. Das war mit dem Film "Abrechnung in Shanghai", der zwar ähnliche Grundlagen abhandelt, aber doch vollkommen andersartig auf diesem Fundament aufbaut.
Der zweite, ein wenig eigenartige, Grund weshalb ich an diesem Film nicht vorbei kam war der Name Ozu. Der hat zwar nichts mit dem Film zu tun, doch hat mich dieser Name in einem Artikel daran erinnert, dass es auch fernöstliches Kino gibt, dass mitunter nur darauf wartet, gesehen zu werden.

Wie gesagt also sah ich meinen ersten chinesischen Film. Jedoch war ich verwundert, dass er von der Darstellung nicht so exotisch war, wie ich es mir vorgestellt habe. Mag es an der Globalisierung liegen? Oder einfach daran, dass die Chinesen ähnliches Kino machen wie die Europäer?

Shanghai, die Stadt der Laster und Sündenpfuhl Chinas. Hier tummeln sich auch im wahren Leben die Showgirls, Prostituierten, Kleinganoven, Casinobesitzer und - ja sogar - die Bosse der mächtigen Triaden.
Dass die chinesische Mafia-Familien als Triaden bezeichnet werden, ist wohl den meisten seit "Lethal Weapon 4" klar.

So ein Schauplatz wie Shanghai ist also prädestiniert für schnelle und kräftige Geschichten. Das wusste Yimou entweder nicht, oder aber er hat es absichtlich versucht zu untergraben. Der Film ist ruhiger, als man von der Geschichte erwartet. Symbolik ist ein wichtiger Teil in diesem Werk. Und zwischen all den offensiv exliziten Filmen der Neuzeit scheint "Shanghai Serenade" als kleiner, ruhiger Krieger heraus. In dieser Hinsicht war ich positiv überrascht.

Diese ganzen genrelosen Erzählungen interessieren mich ohnehin am meisten. Nur wer jenseits sämtlicher Grenzen - und somit jenseits von Klischees - agiert, kann wirklich interessante und wertvolle Filme machen. So ein Film ist "Shanghai Serenade". Denn, wie ich schon sagte, vereint der Film einen rasanten Schauplatz mit der Stille eines Dramas und der Ruhe eines Gedichts.

Das Shanghai der 30er - ein Pendant zu den ganzen Prohibitionsfilmen aus Amerika. Ungewohnt ist jedoch die Farbpracht. Von den Hollywoodfilmen, die in einer ähnlichen Zeit spielen, ist man gewohnt, die Filme mit einem Grauschleier überzogen zu sehen. Sie werden künstlich alt gemacht, um die Atmosphäre einzufangen. In den extremsten Fällen wird sogar der Kunstgriff angewandt und die Sättigung bis zur kompletten Farblosigkeit runtergeschraubt.
Auch hier schwimmt der Film wieder gegen den Strom. Er ist sehr bunt ausgefallen, die Farben sind kräftig und von Grauschleier keine Spur.

Somit könnte man dem Film wieder das Prädikat "exotisch" aufkleben. Doch ich bleibe bei meiner Meinung, dass "exotisch" etwas anderes ist. Wer weiß, es werden ja noch etliche Filme aus diesen Gefilden folgen. Vielleicht kann ich dann besser beantworten, ob dieser Film nun tatsächlich exotisch, oder bloß unabhängig ist.

Entgegen den bekannten Stilen und Klischees ist er nämlich so widersprüchlich, dass ich ihn beinahe in die Liste der subversiven Filme aufnehmen würde.

Die schon angesprochene Unberechenbarkeit lässt sich auch am Handlungsteil mit dem Jungen und der Sängerin gut zeigen. In einem normalen Film würde er wohl alles tun, um ihr zu gefallen. Schließlich himmelt er sie an, er vergöttert sie.
Aber er verweigert ihr den Dienst, wo er nur kann. Ich glaube nicht, dass er dies auf Grund seiner Lähmung tut, die er immer bekommt, wenn er sie sieht. Es ist beinahe eine Art Hassliebe. Auch er will gegen ein System ankämpfen.

Ob die Darsteller filmische Größen aus China sind, kann ich nicht sagen. Dazu müsste ich mehr über dieses Filmland wissen. Aber da dies mein erster Film daraus ist, fehlen mir eindeutig die Grundlagen.
Bei den Darstellern habe ich aber auf jeden Fall die Charakterzeichnung vermisst. Yimou scheint vor allem auf seine Interpretation von Ästhetik im Film einzugehen. Das tut er aber auf gekonnte Art und Weise.

Die Hauptdarstellerin, wie auch den Jungen, hat er jedoch ausgezeichnet in Szene gesetzt. Hätte er vermocht, auch noch den Triadenboss so darzustellen, dann wäre er wohl weitaus glaubhafter geworden. So wirkt er aber wie ein Billigdarsteller aus einem Seagal-Film. Der einzige Punkt, der mich wirklich sehr stört. Denn authentisch wirkt diese Sonnenbrille und das gesamte Auftreten dieses Mannes nicht. Oder ist China doch so anders, dass man sich das einfach nicht vorstellen kann, wie es damals ausgesehen hat? Reichen die hiesigen Geschichten der Vergangenheit nicht aus, um bis nach China mit den Empfindungen vorzudringen?
Das kann ich leider nicht beantworten.

Was ich aber beantworten kann ist die Frage nach meinen Empfindungen zu diesem Film. Ich mag ihn sehr und ich bin froh, dass ich mich dazu entschlossen habe, auch das Filmland China in meine Sammlung aufzunehmen.


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Detlef P.
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Beitrag von Detlef P. »

Der Film ist von Yimou Zhang .
Hatte erst überlegt ob ich den auch gucke, hab mich dann aber für "The Hours" entschieden.


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Beitrag von FrankBooth »

Kleiner Dreher? Zhang Yimou .. ;)

Wird aber doch wiederholt, oder? Arte wiederholt die Sonntagsfilmchen doch immer zig mal .. hatte ihn verpasst, freue mich sehr, ihn zu sehen. Yimou scheint ein guter Mann zu sein.

Und, Voland: Höre einfach auf damit, dem chinesischen Kino auszuweichen. Das hat noch viel, viel mehr zu bieten, das verspreche ich dir!


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Beitrag von Voland »

Ich werde auch nicht mehr ausweichen, keine Sorge. Bloß würde ich überhaupt nur mehr vor dem TV sitzen, wenn ich alle interessanten Filme aufnehmen und sehen würde.

Er wurde schon wiederholt. Hast ja die Liste. Ob er nochmal wiederholt wird, weiß ich nicht, glaube aber nicht.


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Detlef P.
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Beitrag von Detlef P. »

FrankBooth hat geschrieben:Kleiner Dreher? Zhang Yimou .. ;)
Da haben die Affen bei "imdb" aber ganz schöne Scheiße geschrieben :chain:


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Beitrag von Voland »

Habe da jetzt auch mal nachgesehen. Es stimmt tatsächlich: Yimou Zhang.
Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb ich mich bisher von den fernöstlichen Filmen ferngehalten habe. Ich merke mir weder deren Namen noch kann ich sie aussprechen. Und aussehen tun sie für die hiesigen Verhältnisse auch sehr ähnlich.

Interessant finde ich aber, dass Yimou Zhang (oder umgekehrt) früher Fotograf war. Das erklärt diese stilisierten Filmszenen.

Gibt es vielleicht in China eine besondere Regelung bei Namen? Vielleicht ist es dort normal, dass man die Leute mit dem Nachnamen zuerst anspricht. Wäre doch eine Möglichkeit, weshalb er mal so und mal so genannt wird.


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