Francois Truffaut
Verfasst: So 6. Nov 2005, 14:17

geb. am 6.2.1932 in Paris
gest. am 21.10.1984 in Neuilly-sur-Seine (Hirntumor)
"Wer erinnert sich nicht an den UFO-Forscher Claude Lacombe in Steven Spielbergs "Unheimliche Begegnung der dritten Art"? Er ist ein stiller, kluger, sympathisch ruhiger Mann, nicht nur Wissender, sondern auch Zweifler. Was hat den amerikanischen Erfolgsregisseur dazu bewegt, François Truffaut für diese Rolle nach Hollywood zu holen? Spielberg hatte den "Wolfsjungen" und "Eine amerikanische Nacht" gesehen. "Er war ein Mann-Kind in diesen Filmen. Unverbildet und doch weise, eine Vaterfigur mit einem wilden lebensbegierigen Blick"- und das suchte Spielberg. So wurde der große französische Regisseur als Schauspieler in einem Kino-Bestseller weltweit bekannt.
Dieser François Truffaut jedoch ist ein Wunderkind des französischen Films. Mit "Sie küßten und sie schlugen ihn" gibt er der französischen nouvelle vague 1959 sein wunderbares Entre und schafft zugleich mit dem kleinen Antoine Doinel eine Filmfigur, die er über zwei Jahrzehnte verfolgt: Ein Schuljunge wird zu Hause misshandelt, wächst lieblos auf und entdeckt, dass seine Mutter ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat. Er wird enttäuscht, Versprechungen werden nicht eingehalten, das Jugendgericht verurteilt ihn wegen Diebstahls zu Jugendheim. Er flieht, zieht sich ans Meer zurück.
In den Filmen "Antoine und Colette" (1962, Kurzfilm), "Geraubte Küsse" (1968), "Tisch und Bett" (1970) und "Liebe auf der Flucht" (1978) kehrt er zurück. Es sind Geschichten um einen einfachen Menschen, keinen Helden. Er verbringt keine besonderen Taten. Ein Träumer, der seine Träume verwirklichen will. Später schafft er sich eine eigene Welt, ein eigenes Zuhause; er wird berufstätig, heiratet, betrügt seine Frau und behält doch immer seinen Charme, sein kindliches Gemüt und seine Naivität. Truffauts Entdeckung, der Schauspieler Jean-Pierre Léaud spielt ihn als jemanden, der nie erwachsen wird. Für Truffaut ist diese Figur fast ein alter ego.
Daneben entstehen Filme wie "Jules und Jim" von 1961. Der deutsche Schriftsteller Jules und sein französischer Freund Jim verlieben sich beide in Catherine. Der erste Weltkrieg trennt die Freunde: Catherine heiratet Jules, Jim kommt nach dem Krieg zu Besuch, eine Liebe zu dritt entwickelt sich, doch sie welkt dahin, ein dauerndes Glück ist ihr nicht vergönnt: Zwei Menschen sterben, einer bleibt zurück.
Bereits sechs Jahre vorher wird der Regisseur in einem Brief von Henri Pierre Roché auf einen anderen Roman des Autors aufmerksam, auf "Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent", der zehn Jahre nach "Jules und Jim", 1971 entsteht. Aus Ray Bradburys wundersamer Geschichte "Fahrenheit 451" von der Zeit, in der Bücher verboten sind, macht er eine ebenso bizarre wie poetische Phantasie weitab der traditionellen Sciencefiction.
Eine authentische Geschichte aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts ist die Kaspar-Hauser-Figur "Der Wolfsjunge". Bauern fanden in den Wäldern von Aveyron einen verwilderten 12-Jährigen. Wölfe haben ihn großgezogen, er kann nicht sprechen, sein Körper ist voller Narben. Der Arzt und Forscher Itard rettet das Kind vor der Schaulust der Menge und zieht es in einem harten, aber konsequenten Erziehungsprozess groß. Truffaut, der selbst den Erzieher spielt, macht in einem kühlen, sachlichen Stil Brutalität und Unsinnigkeit dieses Zivilisierungsprozesses deutlich.
Truffaut ist der Sohn eines technischen Zeichners und einer Sekretärin. Mit 14 verlässt er gegen den Willen der Eltern die Schule und macht Gelegenheitsjobs. Das Wichtigste sind für ihn Kinobesuche, wie Doinel kommt er ins Erziehungsheim, danach begegnet er dem französischen Kritikerpapst André Bazin, der ihn animiert, Filmvorführungen für Arbeiter zu organisieren. In der Cinématheque trifft er auf Alain Resnais und Chris Marker, auf Jean Luc Godard, Jacques Rivette und Eric Rohmer. Nach der unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst bringt ihn Bazin in der Filmabteilung des Landwirtschaftsministeriums unter.
Bald macht sich Truffaut als Kritiker der "Cahiers du Cinéma" einen Namen durch seinen klaren Stil, seine Präzision und Unbestechlichkeit im Urteil. Wie die Kritiken so prägen seine Filme das französische Kino: der Film über das Kino "Die amerikanische Nacht", Lebensgeschichten wie "Schießen Sie auf den Pianisten", "Die Geschichte der Adele H." oder "Die letzte Metro", irritierende Arbeiten wie "Taschengeld", "Das grüne Zimmer", "Die Frau nebenan" und schließlich die wunderschöne Detektiv-Story "Auf Liebe und Tod". Der Film entsteht 1982/83, 1984 stirbt Truffaut."
(www.prisma-online.de)
Filmografie:
1959: Sie küssten und sie schlugen ihn
1960: Schießen sie auf den Pianisten
1962: Jules und Jim
1962: Liebe mit zwanzig (Segment: Antoine et Colette)
1964: Die süße Haut
1966: Fahrenheit 451
1968: Die Braut trug schwarz
1968: Geraubte Küsse
1969: Das Geheimnis der falschen Braut
1970: Der Wolfsjunge
1970: Tisch und Bett
1971: Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent
1972: Ein Schönes Mädchen wie ich
1973: Die Amerikanische Nacht
1975: Die Geschichte der Adele H.
1976: Taschengeld
1977: Der Mann, der die Frauen liebte
1978: Das Grüne Zimmer
1979: Liebe auf der Flucht
1980: Die letzte Metro
1981: Die Frau nebenan
1983: Auf Liebe und Tod
[hr]
ein großartiger Regisseur, von dem ich bislang leider nur 2 filme kenne ("Die amerikanische Nacht" und "Fahrenheit 451"). Vor allem "Jules und Jim" muss ich noch ganz dringend nachholen.