Ist es nicht immer wieder faszinierend, wie verbindend Kino doch sein kann, obwohl man in den häufigsten Fällen in völlig fremde Welten eintaucht, mit denen man in der realen Welt noch nie zusammengestoßen ist und vermutlich auch niemals zusammenstoßen wird?
Sind das nicht eigentlich zwei der Hauptgründe dafür, ins Kino zu gehen?
Identifikation und Eskapismus?
Und sind nicht gerade die Filme so einprägsam, die es tatsächlich schaffen, beides bei einem Zuschauer auszulösen?
Vor einigen Tagen sah ich mir, nach langer, langer Zeit, endlich einmal die Apu-Trilogie von Satyajit Ray an, der es mit dieser Trilogie, aber ganz besonders mit dem ersten Teil, geschafft hatte, das indische Kino auch in der westlichen Welt salonfähig zu machen.
Wer also ein großer Fan von Bollywood-Filmen ist, darf Satyajit Ray dafür danken, dass diese heutzutage auch hier bei uns gezeigt werden.
Und wer kein Fan von Bollywood-Filmen ist... auch

Diese Trilogie hat bei uns den Titel "Apus Weg ins Leben" bekommen.
Und jeder Teil hat - neben der Nummerierung - auch einen Zusatztitel mit Bindestrich erhalten.
So heißen die drei Teile:
Apus Weg ins Leben - 1.: Auf der Straße
Apus Weg ins Leben - 2.: Der Unbesiegbare
Apus Weg ins Leben - 3.: Apus Welt
In diesen Filmen folgen wir dem indischen Jungen Apu durch seine Kindheit, wie er zu einem jungen Mann heranwächst und schließlich zu einem Erwachsenen wird.
Und wenn man sich die Handlung der drei Teile mal ansieht und mal ganz knapp auf das Wesentliche herunterbricht, wird eigentlich nicht besonderes, sondern eher alltägliches Vorgehen aus Apus Leben erzählt.
Teil 1:
-Großtante stirbt
-Schwester stirbt
-Die Familie zieht aus ihrem Heimatdorf in die große Stadt
Teil 2:
-Vater stirbt, Apu und seine Mutter ziehen daraufhin zum Großonkel
-Apu besucht eine Schule und bekommt später ein Stipendium für ein Studium
-Mutter stirbt
Teil 3:
-Apu heiratet
-Apus Frau stirbt bei der Geburt des gemeinsamen Sohnes
-Apu lässt Sohn bei Schwiegereltern, bis er diesen nach einem Selbstfindungstrip nach Hause holt
Eigentlich ziemlich klischeehaft, wenn man es mal ganz nüchtern - und wirklich ganz grob umrissen - betrachtet.
Könnte auch die Story für eine beliebige, deutsche Soap sein.
Aber das ist gerade das Schöne an diesen Filmen.
Es werden universelle Vorkommnisse und Begebenheiten genommen, die sich theoretisch im Leben eines jeden Durchschnittsbürgers ereignen könnten, sodass es quasi ein allgemeingültiges Indentifikationspotential gibt.
Kommen wir nun zum zweiten Punkt, den ich eingangs nannte.
Filme entführen uns immer wieder in unbekannte und geheimnisvolle Welten, die uns größtenteils - manchmal leider, manchmal glücklicherweise - auch immer unbekannt und geheimnisvoll bleiben werden.
Auch dieser Film entführt uns in eine andere Welt. In eine ganz andere, völlig faszinierende Kultur.
Alleine die Riten und Feste, die der kleine Apu im ersten Teil erleben darf, sind eine kleine Reise für sich.
Ganz zu schweigen von den Lebensumständen, die in diesem Dorf, in diesem Haus herrschen, in dem der kleine Apu aufwächst.
Die Stimmungen werden großartig durch die wunderschönen Kamerabilder, die ruhige und bedächtige Atmosphäre und die wirklich einzigartige Filmmusik kongenial unterstrichen.
Und trotz dieser absolut fremdartigen Lebensweise und der erfrischend andersartigen Kultur, sind es doch alltägliche Probleme, die an der Familie nagen, die vermutlich fast jeder schon einmal aktiv oder zumindest passiv erlebt hat.
Wie zum Beispiel, wenn die Eltern sich darüber Gedanken machen, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen, weil dem Vater, durch ungünstige Umstände, ein lukrativer Job durch die Lappen gegangen ist, der sie, nach langer Zeit, endlich aus der Misere hätte retten können.
Oder dieser herzzerreßende Moment, wenn ein nahes Familienmitglied stirbt, wie es erst mit der sehr alten Großtante und später gar mit der großen, aber sehr jungen Schwester passiert.
Und es sind Momente, wie diese, wo die bereits schwer kranke Schwester Apu verspricht mit ihm, wenn sie wieder gesund ist, die entfernten Bahngleise aufzusuchen, da sie beide noch nie einen Zug richtig aus der Nähe zu sehen bekommen haben, die einen wirklich treffen, weil man weiß, dass sie weder ihr Versprechen Apu gegenüber einlösen, noch selbst jemals in den Genuss kommen wird, diesen verdammten Zug auch nur ein einziges Mal aus der Nähe betrachten zu können.
Oder diese Szenen im dritten Teil, wo Apu, der einen Bürojob hat, aber eigentlich ein großer Schriftsteller werden will, nach dem Tod seiner Frau umherwandert und sich an einem gewissen Punkt seines bereits begonnenen, autobiografischen Romans entledigt.
Als nach langer Zeit sein bester Freund es schafft, ihn ausfindig zu machen und er von Apu berichtet bekommt, dass er sein Buch weggeworfen habe, da es "keine Bedeutung mehr habe", bekommt man zugleich einen Kloß im Hals, da man erahnen kann, was in diesem Mann vorgeht, der alles verloren hat, was ihm wichtig war.
Und da kann man tatsächlich sogar verstehen, dass sein Lebenstraum für ihn "keine Bedeutung mehr hat".
Trotzdem gibt es auch so viele schöne und lebensbejahende Momente.
Jede Szene mit der verschrobenen, aber total coolen Großtante aus dem ersten Teil, erzeugen in einem ein warmes, wohliges und feudiges Gefühl.
Du siehst dem Gesicht dieser Frau einfach an, dass sie mehr gesehen und erlebt hat, als wir uns in unseren kühnsten Träumen auch nur vorzustellen in der Lage sind.
Und genau so abgeklärt gibt sie sich auch.
Oder die Momente, wo Apu einfach wie ein kleiner Junge durch die Gegend läuft und Du die Welt mit seinen Augen, aus seiner kindlichen Perspektive wahrnimmst.
Mit einer Perspektive eines Kindes, dass - zum Glück - noch nicht weiß, was einmal auf ihn im Erwachsenenalter zukommen wird.
Und natürlich der Moment am Ende der Trilogie, als er seinem Sohn, den er nach vielen Jahren das erste Mal getroffen hat und der ihm gar nicht glaubt, dass er sein Vater ist, sagt, was er in Zukunft für ihn sein will.
Wenn man den Film also nicht bloß auf die groben Eckpunkte der Handlung herunterbricht, sondern tatsächlich in die Geschichte einzutauchen vermag, begleitet man einen Menschen von den Kindesbeinen an über die Adoleszenz bis hin zu einem erwachsenen Mann, dessen Erlebnisse und Entscheidungen so nah an einem dran sind, wie es nur möglich sein kann.
Zugleich tauchen wir aber nicht nur in die uns nahe Geschichte, sondern auch in die uns ferne Welt ein, die uns die Bilder und die Atmosphäre dieser Trilogie so hervorragend suggerieren, dass wir tatsächlich gleich zwei Hauptgründe haben, die für das Kino sprechen und uns überzeugen können, uns dieser filmischen Erzählung vollends hinzugeben.