Coraline

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Detlef P.
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Coraline

Beitrag von Detlef P. »

[img]http://www.cinefacts.de/kino/plakat/42700_c352e0b008c17af2d962be4ad187f39f/42700/sg/plakat_gross/coraline_plakat_1.jpg[/img]

USA, 2009
Regie: Henry Selick
Sprecher: Luisa Wietzorek, Bettina Weiß, Reiner Schöne, Hannes Maurer, Patrick Winczewski

"Filme mit phantastischer Thematik nehmen gern für sich in Anspruch, ihr Publikum verzaubern zu wollen. Meist verkaufen sie jedoch nur Kitsch als Magie, was den Zuschauer entweder vor lauter falscher Süßlichkeit innerlich verkleben oder aber zynisch werden lässt.


In beiden Fällen bietet ein Besuch von "Coraline" das perfekte Gegenmittel, denn die Kinoadaption von Neil Gaimans Bestseller löst alle Versprechen ein: Indem er klassische Stop-Motion-Animation und neue 3-D-Bildtechnik in Formvollendung vereinigt, hat Regisseur Henry Selick das hintersinnige Kinderbuch in ein erwachsenes Leinwandmärchen übersetzt.

Von Zauberei zu sprechen klingt da fast zu profan angesichts eines Films, der trotz überbordender Zeiglust nie effektheischend wirkt, und bei aller Spielfreude eine sinnliche wie dramatische Tiefe erreicht, die dem Zuschauer schlicht den Atem raubt.

Bei seiner Titelheldin herrscht dagegen anfangs das große Gähnen: Die elfjährige Coraline Jones ist mit ihren Eltern aus Michigan in einen entlegenen, chronisch verregneten Winkel Oregons umgezogen, und fern von ihren alten Freunden kann das Mädchen mit den leuchtendblauen Haaren vor lauter Langeweile kaum an sich halten.

Mutter und Vater haben im Arbeits- und Alltagstress weder Augen noch Ohren für die aufgeweckte Tochter, die notgedrungen allein auf Entdeckungstour durch die ungeliebte neue Heimat geht. So lernt sie schnell die anderen Mieter in dem morschen Riesenhaus kennen: Neben den im Altersruhestand verschrumpelten britischen Varieté-Künstlerinnen Miss Spink und Miss Forcible wohnt dort noch der verschrobene Mr. Bobinsky, ein russischer Rübenfan und vormaliger Zirkusstar.

Die älteren Herrschaften sind bei aller exzentrischen Freundlichkeit nicht als Spielgefährten geeignet, doch in Coralines Altersklasse ist an diesem einsamen Ort nur der quirlige Nachbarsjunge Wybie Lovat zu finden.

Aber von dessen unbeholfenen Avancen zeigt sich das schlagfertige Mädchen nur genervt - und wenn jemand sie versehentlich Caroline statt Coraline nennt, hat derjenige eh schlechte Karten.

Schon scheint es, als ob die ekligen Silberfische in der Dusche noch das Aufregendste in Coralines Leben bleiben. Doch dann entdeckt sie eine verborgene Tür im Haus, und als Coraline eines Nachts den dahinterliegenden Tunnel durchquert, landet sie in einer alternativen Realität: Hier ist das Haus plötzlich heimelig eingerichtet, und statt im matschigem Grau zu versinken, schillert der Garten in satten Farben.

Aber die größte Überraschung bieten die Bewohner dieser Parallelwelt, allen voran die viel besser aufgelegte Version von Coralines Mutter. Die stellt sich auch gleich fröhlich als die "andere Mutter" vor, serviert Kuchen, Hot Dogs und Pizza, ist für jeden Spaß zu haben und schenkt Coraline ihre ganze Aufmerksamkeit.

Auch der verständige "andere Vater" sowie die ebenfalls runderneuerten Hausbewohner sorgen dafür, dass Coraline sich in einem kunterbunten Kinderparadies mit Zuckerguss obendrauf wähnt. Etwas irritierend findet sie allein den Umstand, dass die freundlichen Doppelgänger allesamt Knöpfe statt Augen im Gesicht haben.

Doch über dieses unheimliche Detail im Schlaraffenland sieht Coraline zunächst hinweg, was sich als fataler Fehler erweist. Denn nach einem weiteren nächtlichen Ausflug in dieses verspielte Tal der Puppen will die andere Mutter sie nicht mehr in ihre Wirklichkeit zurückkehren lassen. Und was gerade noch farbenfroh, wohlklingend und liebevoll wirkte, erscheint auf einmal grell, schrill und abgründig.

Neil Gaiman, der "Coraline" ursprünglich als Gutenacht-Geschichte für seine Tochter ersann, hat seiner Heldin nicht nur einen Dickkopf, sondern auch reichlich Herz und Verstand geschenkt. Der Autor der bahnbrechenden "Sandman"-Comicreihe lässt das Mädchen darum mutig dem schrecklichen Geheimnis der anderen Mutter nachspüren.

Auch in der Verfilmung hängt vom Geschick der kleinen Detektivin nicht nur ihr eigenes Schicksal, sondern auch das der echten, gar nicht mehr so unattraktiven Welt ab. Und zum Glück gibt es sprechende Katzen und nervige Nachbarjungen - wobei die Figur des Wybie nicht Gaimans Vorlage entspringt -, die den Horror überstehen helfen.

Denn gruselig ist dieser psychologisch dichte Crossover aus American Gothic und präpubertärem Selbstfindungstrip ohne Frage. Statt eine simple Moral durchzudrücken - das Leben ist kein Wunschkonzert, Erwachsene sind auch nur Menschen und trau keinem Fremden mit Knopfaugen - lässt der Film viel Raum für unausgesprochene Träume und Ängste. Die Erfahrung von Tod und unwiederbringlichem Verlust existieren in Coralines Welt ebenso wie ein Gefühl völliger Verlorenheit, das Henry Selick durch seine ruhigen, bisweilen melancholischen Erzählduktus eindringlich vermittelt.

Dass er dennoch das Lebensbejahende in tiefster Finsternis entdecken kann, hat der Regisseur schon im beschwingten Schauermärchen "Nightmare Before Christmas" bewiesen. Hier triumphieren Gestaltungswille und Vorstellungskraft der begnadeten Puppenspieler und Kulissenbauer um Selick jedoch noch eindrucksvoller, auch weil die emotionale Fallhöhe von Gaimans Kunstmärchen so viel höher ist.

Dazu passt, das "Coraline" mithin der erste der neuen stereoskopischen 3-D-Filme ist, der die spektakuläre Technik mit Souveränität und Selbstverständlichkeit einsetzt. Ob eine virtuos entfesselte Kamera durch die Szenerie streift oder eine horrende Begegnung mit der anderen Mutter unvermittelt in einen surrealen Vertigo-Moment mündet, man möchte stundenlang an Coralines Seite diese Welt entdecken.

Doch wie die Heldin darf man nicht vergessen, irgendwann zurückzukehren. Das ist die eine Erkenntnis dieser großartigen Kinoerfahrung. Die andere lehrt, dass Kunst manchmal doch ein Kinderspiel ist." (www.spiegel.de)

Ich habe mich, glaube ich, selten über eine Altersfreigabe so sehr gewundert wie bei diesem Film.
Sicher, ich weiß, dass man als Erwachsener die Dinge oft etwas zu hart beurteilt. In Grimms Märchen, die wir früher vorgelesen bekamen und deren Verfilmungen wir uns ansehen durften kommen auch schreckliche Dinge wie menschenfressenende Wölfe, böse Hexen oder andere eigentlich gruselige Dinge vor.
Ich bin auch eigentlich niemand, der da sofort überreagiert, wenn Kindern so etwas gezeigt wird. Ich denke mir dann immer: "Überleg mal, was Du Dir alles angesehen, angehört und gelesen hast, als Du in diesem Alter warst."
Wir haben uns mal in einem Uniseminar den Kinderfilm "Die drei Räuber" angesehen, welcher ohne Altersbeschränkung freigegeben wurde. Nach dem Sehen des Films war ich der Ansicht, dass der Film doch eher ab 6 freigegeben werden sollte. Viele meiner Kommilitoninnen (alles Pädagoginnen) meinten, dass der Film ab 12 freigegeben werden sollte.
Erstens hielt ich das für total überzogen und zweitens sind heutzutagen schon Filme wie Bourne und Bond ab 12, wo einiges abgeht. Und da setzt sich bestimmt kein 12 jähriges Kind mehr vor den Fernseher und guckt sich "Die drei Räuber" an. :cityofgod:

Aber was ich gestern bei "Coraline" gesehen habe, ließ mich doch stark an der Altersfreigabe "ab 6" zweifeln.
Es gibt tatsächlich Szenen in diesem Film, die beinahe einem Horrorfilm entsprungen sein könnten. Natürlich sieht man kein Blutgemetzel oder ähnliches. Aber die Atmosphäre, Bilder und Schockmomente habe ich in Horrorfilmen schon erlebt.
Ich habe an manchen Stellen tatsächlich da gesessen und mir gedacht: "Wenn ich nicht wüsste, dass dieser Film ab 6 freigegeben wäre, würde ich mich jetzt auf einiges gefasst machen." Kleine Kinder haben diese Gedankengänge allerdings nicht, da sie (hoffentlich) noch keine richtigen Horrorfilme geguckt haben, so wie ich.

Es gab tatsächlich Szenen, bei denen es mich richtig(!) gegruselt hat.
In einer Szene läuft zum Beispiel eine Klauenhand hinter der Titelheldin her, die mich verdammt stark an Freddys Scherenhand aus "Nightmare" erinnert hat.
Dann die Thematik an sich: In einer Schlüsselszene (Spoiler)verlangt die andere Mutter von Coraline, dass sie sich (wie alle anderen) Knöpfe auf die Augen nähen lässt. Erst dann dürfe sie für immer in dieser Welt bleiben. (Spoilerende)
Vielleicht bin ich tatsächlich schon zu sehr erwachsen und auch schon zu sehr Pädagoge. Und der Film ist im Prinzip von der moralischen Geschichte her eher ein Märchen für Kinder.
Aber diese Schockmomente fand ich tatsächlich extrem krass (selbst für mich), wobei ich mich dann frage, ob der Film nicht tatsächlich lieber ab 12 freigegeben werden sollte.

Ach ja, ansonsten war der Film super... . Richtig geil!


"Willst Du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten." (chin. Sprichwort)

"Die Seele ist das Schiff, Vernunft das Steuer und Wahrheit der Hafen." (türk. Weisheit)

"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

Las-Vegas-Ambiente :fuckU: (Insider)
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