Der Name der Leute

Le nom des gens

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Detlef P.
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Der Name der Leute

Beitrag von Detlef P. »

[img]http://movfilm.net/poster16/Der_Name_der_Leute.jpg[/img]

F, 2010
Regie: Michel Leclerc
Darsteller: Jacques Gamblin, Sara Forestier, Zinedine Soualem, Carole Franck, Jacques Boudet, Michèle Moretti

"Die extrovertierte Schönheit Bahia (Sara Forrestier) ist eine selbsternannte pute politique. Sie macht sich an politische Gegner heran, um diese per Geschlechtsverkehr zu bekehren und Frankreich so langsam von Reaktionären, Neoliberalen und Rassisten zu befreien. Bei manchen von ihnen reicht ein One-Night-Stand, andere sind ihr eine mehrwöchige Affäre wert. Ihr Aussehen, das glücklicherweise nicht sofort ihre teilweise algerische Herkunft verrät, und ihren Körper setzt Bahia als politische Waffe ein, sie „prostituiert“ sich, aber nicht für Geld, sondern für eine bessere Welt.

Die Handlung von Michel Leclercs originellem Film Der Name der Leute (Le nom des gens) setzt ein, als Bahia zum ersten Mal nicht von der Männerwelt falsch eingeschätzt wird, sondern selbst eine solche Fehleinschätzung vornimmt. Denn sie hält den Veterinärmediziner Arthur Martin (Jacques Gamblin) mit seinem neurotischen Anzug-Auftreten, seinen hysterischen Warnungen vor einer Tierseuche und seinem Allerweltsnamen (laut Film gibt es 15.000 Arthur Martins in Frankreich) für einen prototypischen Rechten – und für ihr nächstes Opfer. Doch Arthur ist zwar ein etwas steifes Persönchen, als Jospin-Anhänger politisch aber durchaus akzeptabel. Und weil Leclerc sich auch mit seinem zweiten Werk nach La tête de maman (2007) im Feld der romantischen Komödie bewegt, hat Bahia bald mit dem Problem zu kämpfen, sich zu einem deutlich älteren Mann erstmals nicht aus Feindseligkeit hingezogen zu fühlen.

Der Witz des Drehbuchs von Der Name der Leute, das Leclerc zusammen mit seiner Lebensgefährtin Baya Kasmi geschrieben hat, gründet sich meistens, aber nicht immer aus dem klassischen Konzept von zwei äußerst gegensätzlichen Protagonisten – Verklemmtheit und Kontrollwut auf Arthurs, Direktheit und Exhibitionismus auf Bahias Seite. Leclerc thematisiert (und parodiert) dabei vor allem den stetigen Einfluss von Herkunft und elterlicher Sozialisation auf den späteren Charakter: Bahia setzt das „Werk“ ihrer politisch aktiven Mutter fort und ist über das Schicksal ihres Vaters als Flüchtlingsopfer des Algerienkriegs für die dunklen Seiten der Vergangenheit ihres Heimatlandes sensibilisiert. Arthurs Vater dagegen kämpfte auf französischer Seite in Algerien, während seine Mutter über ihre Erfahrungen als Jüdin während des Zweiten Weltkriegs nicht zu sprechen vermag. Die Rückblendentechnik, mit der Leclerc seine Figuren anhand besonders verschrobener Episoden aus ihrer Vergangenheit einführt, erinnert an die Anfangsminuten der Fabelhaften Welt der Amelie (Le fabuleux destin d’Amélie Poulain, 2001).

Stärker noch steht Der Name der Leute in der Tradition Woody Allens. Die neurotischen, überzeichneten Figuren, die endlosen Gespräche über private wie politische Themen, der teilweise etwas arg respektlose Umgang mit dem Holocaust, das alles erinnert stark an Allens beste Zeit und verfehlt seine Wirkung nicht. Zwischenzeitlich geschieht in diesem Film etwas, das selten geworden ist in Liebeskomödien: Man bekommt ein Gefühl für jene radikale Freiheit, die sich aus den vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen ergibt und deren vielleicht gelungenster Ausdruck Allens Stadtneurotiker (Annie Hall, 1979) ist. Leclerc und Kasmi haben sich beim Schreiben nicht auf originelle Dialoge und die Eigenheiten ihrer Figuren beschränkt, sondern schon das Drehbuch stark visuell gedacht. So erscheint das Glück der frisch Verliebten in verspielten Super16-Aufnahmen, und weil für Bahia Nacktheit eher der Normalfall ist, lässt sie sich von Arthur in der ersten erotischen Szene nicht aus- sondern anziehen. Ausgefüllt wird die grandiose Vorlage von einem mal wieder überzeugenden Jacques Gamblin und der lebhaften und für die Rolle der Bahia mit einem César ausgezeichneten Sara Forrestier, die gekonnt mit den Möglichkeiten wie Gefahren spielt, die in einer überzeichneten Figur angelegt sind.

Auch wenn sich Leclerc insgesamt gegen eine politische Zuspitzung und für das Primat der Liebesgeschichte entscheidet, wohnt dem Dialogfeuerwerk ein ernster Gehalt inne. Die Wut des Regisseurs über bestimmte politische Entwicklungen in Frankreich und die Enttäuschung über eine zunehmend fremdenfeindliche Gesellschaft ist ständig spürbar. So ist ihm mit Der Name der Leute nicht nur der beste Woody-Allen-Film seit langer Zeit gelungen, sondern auch eine Bezugnahme auf politische Themen ohne plumpe Didaktik. Vor allem geht es ihm aber um die vermeintlich determinierende Kraft von Herkunft und Identität. Diese bestimmt zunächst auch Leclercs Figuren, wird hier aber so respektlos und spielerisch verhandelt, dass sie nicht als Schicksal erscheint, sondern als zu überwindendes Hindernis. In diesem Sinne steht die pute politique weniger für eine explizite Lebensweise als für eine vielleicht etwas altmodische Vorstellung von gesellschaftlicher Veränderung durch Liebe – eine Liebe, die sich um Identitäten nicht schert und ihren Ausdruck in einem Satz Bahias in der Mitte des Films findet: „Scheiß auf Wurzeln.“" (www.critic.de)

Was für ein geiler Roundhouse-Kick in die Fresse der Gesellschaft. Solche Filme können echt nur die Franzosen machen. Und ich glaube das hat auch einen gewissen Grund.
Nicht nur, dass sie anscheinend - oder auch scheinbar - das Volk sind, dass sich am meisten mit politischen Mißständen auseinander setzt, sie haben auch auf allen Seiten der politischen Ungerechtigkeit gestanden. Selbst besetzt (von den Nazis) und selbst Besatzungsmacht (in Algerien) haben sie beide Seiten innerhalb kürzester Zeit erlebt.
Das mag eine merkwürdige Einleitung für eine Filmkritik sein, aber genau darum geht es in diesem Film. Um politische Mißstände, um Diskriminierung, um Diskrepanzen und um Vorurteile jeglicher Art. Daher auch der merkwürdige Titel "Der Name der Leute". Wer kennt das nicht. Man hört das jemand mit Nachnamen Meier heißt und hat gleich ein ganz anderes Bild von ihm als wenn er Kovacevic oder Süleyman heißen würde. Es ist ein Schubladendenken mit dem die meisten Menschen ihr (unbekanntes) Gegenüber einordnen.
Und diese und andere Dinge wie Faschos und Ökos, Rechte und Linke, Judenvernichtung und Algerienkrieg werden von allen Seiten mehrfach beleuchtet.
Auf der einen Seite haben wir Arthur Martin, der einen durchschnittlichen französischen Namen trägt, dessen Mutter jedoch eine Überlebene der Nazi-Besetzung ist und dessen Großeltern in einem KZ starben.
Auf der anderen Seite steht Bahia Benmahmoud, die einen sehr ungewöhnlichen Namen trägt. Ihr Vater ist Algerier und ist nach der Besetzung Algeriens ducrh die französischen Truppen illegal nach Frankreich immigriert wo er Bahias Mutter, eine politisch-linke Aktivistin, heiratete.
Als sich beide das erste Mal begegnen hält Bahia Arthur für einen Fascho. Sie bekehrt Faschos in dem sie mit ihnen ins Bett geht. Arthur ist jedoch kein Fascho wie sie bald feststellt.
Jetzt beginnt eine sehr, sehr ungewöhnliche, ungewöhnlich lustige und vor allem ungewöhnlich politische Beziehungskomödie, dessen zentrales Thema politische Ansichten und Differenzen sind.
Ich finde es absolut brilliant wie galsklar die politische Aussage des Films ist, die schon damit anfängt, dass wir Leute nach ihrem Namen beurteilen.
Aber wenn der Film selbst Themen wie dem Genozid(!) oder Kindesmißbrauch(!!!) noch humorvolle Seiten abgewinnt, dann wissen wir, dass wir es mit einem wahren Meisterstück zu tun haben.
Zudem ist der Film optisch ebenfalls wirklich ausgefeilt und die Erzählstrukturen erinnern an einen frühen Woody-Allen-Film.
Ein großes, großartiges Stück politisches, französisches Kino mit super Darstellern und einem hohem Unterhaltungsfaktor.


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"Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein." (Daniel J. Boorstin)

Wenn "2010" die Fortsetzung zu "2001" sein soll, dann ist "Sieben" das Prequel zu "8½". (Ich)

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Damien3
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Beitrag von Damien3 »

Ich finde die Grundidee schon so pervers das ich keinen Bock hätte das zu schauen! Was für kranke scheisse! Die können nur noch sowas und die schlimmsten horrorfilme. Was passiert da bloss?


"Ich habe sie den ganzen Abend von dahinten beobachtet...sie sind ein sehr attrativer Mann"
"Warum gehen sie nicht in die Ecke zurück und schauen weiter?"
Kevin Costner..coole Sau.
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Detlef P.
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Beitrag von Detlef P. »

Es tut mir leid, aber ich verstehe diese Frage nichtBild
Welche Grundidee genau ist an diesem Film denn so pervers? Dass eine Frau mit Männern ins Bett geht um sie politisch umzupolen? Oder dass Menschen andere Menschen nach dem Namen beurteilen?
Und was heißt die können nur noch "sowas" und die schlimmsten Horrorfilme?
Was genau ist denn "sowas"? Welche anderen Beispiele gibt es für "sowas"?


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damian
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Beitrag von damian »

Ein klasse Film ist das! Klar, provokant, radikal, aber ich fand die Thematik eher herausfordernd und musste ihn mir anschauen: der Kinobesuch hat sich gelohnt, ein wirklich schöner Film. Und ich würde es eher eine geniale Strategie nennen, die Hauptfigur Bahia verfolgt - pervers kann ich daran nichts finden. Humorvoll umgesetzt: Bahia nackt in der Ubahn. Oder provokante Lingerie? Ein bisschen Körpereinsatz muss halt sein.


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